Virtuelles Objekt des Monats

Virtuelle Gedächtnispaläste

Objekte, die das Memorieren verräumlichen

Sandra Aßmann, Raphaela Gilles, Jane Lia Jürgens, Kira Lewandowski

September 2025
Virtueller Gedächtnispalast für die Vorbereitung auf eine Phonetikprüfung im Fach Anglistik (Seminarprodukte)
Entstehungsgeschichte: Was sind virtuelle Gedächtnispaläste?

Die Loci-Methode wurde bereits im Altertum als Mnemotechnik eingesetzt, um sich komplexe Argumentationsketten besser behalten zu können (Karsten, 2011). Dazu wurde eine präzise Route festgelegt, auf der gedanklich Objekte positioniert und mit zu memorierenden Informationen verknüpft wurden. Eingebettet wird das ganze in einen schönen oder interessanten Ort. Die Romanfigur Sherlock Holmes ist ein berühmtes Beispiel eines Nutzers solcher Gedächtnispaläste.

In virtueller Form sind sie computergenerierte oder digital unterstützte Umgebungen, die das Konzept der Loci-Methode aufgreifen und es durch immersive Technologien wie Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality (AR) erweitern. Dadurch entstehen personalisierbare Lern- und Erfahrungsräume. Diese virtuellen Paläste bieten eine Vielzahl von Möglichkeiten, die traditionelle Methode zu optimieren (in Anlehnung an Aiwanger 2024).

  

Kompetenzen: Was können virtuelle Gedächtnispaläste?

Virtuelle Lernwelten können den Charakter von Explorationswelten, Trainingswelten, Experimentalwelten und Konstruktionswelten annehmen (Schwan & Buder, 2006).Virtual Reality kann dabei abstrakte oder schwer zugängliche Inhalte – wie chemische Reaktionen (im Zuge von Experimentalwelten) oder historischeEreignisse (z.B. in Explorationswelten) – in einer Weise visualisieren, die das Lernen erleichtert und das Erinnern nachhaltig unterstützt. In der Verknüpfung von Wissen und Raum werden durch virtuelle Gedächtnispaläste Konstruktionswelten erschaffen, die »dem Erwerb mentaler Modelle über komplexe Sachverhalte« (ebd., S. 9) dienen können. Ist ein virtueller Gedächtnispalast einmal erschaffen, fungiert er auch als virtuelle Explorationswelt, die auf ein Verstehen abzielt, das z.B. der Prüfungsvorbereitung zugutekommen kann. VR bietet die Möglichkeit, Prüfungsinhalte aktiv und praxisnah zu erleben. Erste Projekte zeigen, wie Simulationen in VR dazu beitragen können, Studierende gezielt auf Prüfungen vorzubereiten, Wissen unter realitätsnahen Bedingungen zu testen und zu verfestigen (Mühling et al., 2023). Während die spielerisch explorativen Elemente und der innovative und immersive Charakter von VR als lernmotivationsfördernde Faktoren bekannt sind (Jack et al. 2024; Jiang und Fryer 2024), kann auch ein positiver Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Mnemotechniken und der Lernmotivation von Schüler*innen festgestellt werden (Putnam 2015, zitiert in Huttner und Robra-Bissantz 2019).

Erkenntnisse: Was zeigen virtuelle Gedächtnispaläste?

Virtuelle Gedächtnispaläste als Lehr-/Lernarrangements zur Prüfungsvorbereitung können als personalisierte und adaptive Lerngelegenheiten verschiedene Lernbedarfe berücksichtigen. Im Lehrforschungsprojekt »ViMP (Visiting the Memo Palace)« wurden von Studierenden der Erziehungswissenschaft an der RUB mit Hilfe der App CoSpaces selbst Gedächtnispaläste gebaut. Die Implementierung studentischer Lerninhalte erforderte dabei eine kreative Umsetzung sowie die Berücksichtigung studentischer Perspektiven.

Virtueller Gedächtnispalast für den Spracherwerb von Italienischvokabeln in einem Restaurantsetting (Seminarprodukte)

Es entstanden u.a. Anwendungen, die das Vokabellernen (Italienisch) sowie die Aussprache (Englisch) erleichtern sollen. Durch die Entwicklung einer Geschichte und den Bau eines Gedächtnispalastes konnten die Studierende zu lernende Vokabeln nicht nur durch Objekte visualisieren, sondern auch räumlich erfahren. Dabei lernten sie sowohl theoretisch als auch praktisch, wie Medienangebote gestaltet werden können, um Lehr- und Lernprozesse nachhaltig zu unterstützen.

Literatur

Aiwanger, Felix (2024): Lernen und Lehren im Gedankenpalast: Erkundungsgang aus rechtsdidaktischer Perspektive. In: Noller, Jörg/ Beitz-Radzio, Christina/Förg, Melanie/ Johst, Sandra Eleonore/ Kugelmann, Daniela/ Sontheimer, Sabrina und Westerholz, Sören (Hrsg.): Medien-Räume. Eröffnen – Gestalten – Vermitteln. Wiesbaden: Springer VS (Perspektiven der Hochschuldidaktik), S. 27-37.

Mühling, Tobias/ Späth, Isabelle/ Backhaus, Joy/ Milke, Nathalie/ Oberdörfer, Sebastian/ Meining, Alexander/ Latoschik, Marc Erich/ Köng, Sarah: Virtual reality in medical emergencies training: benefits, perceived stress, and learning success. Multimedia Systems 29, 2239–2252 (2023). https://doi.org/10.1007/s00530-023-01102-0

Huttner, Jan-Paul/ Robra-Bissantz, Susanne (2019): A Virtual Memory Palace: Engagement improves the Long-Term Memory. FDIBA Conference.

Jack, Eilidh/ Alexander, Craig/ Jones, Elinor M. (2024): Exploring the impact of gamification on engagement in a statistics classroom. In: Teaching Mathematics and its Applications: An International Journal of the IMA. DOI: 10.48550/arXiv.2402.18313.

Jiang, Juming/ Fryer, Luke K. (2024): The effect of virtual reality learning on students’ motivation: A scoping review. In: Computer Assisted Learning 40 H. 1, S. 360–373. DOI: 10.1111/jcal.12885.

Karsten, Gunther (2011): Mnemotechniken – Strategien für außergewöhnliche Gedächtnisleistungen. In: Dresler, Martin (Hrsg.): Kognitive Leistungen. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-8274-2809-7_4, S. 57-76

Schwan, Stephan/ Buder, Jürgen (2006): Virtuelle Realität und E-Learning. www.e-teach-ing.org/didaktik/gestaltung/vr/vr.pdf (Abfrage:10.1.2025).

Das Virtuelle Objekt des Monats

Seit April 2023 stellen wir jeden Monat ein »Virtuelles Objekt des Monats« (VOM) auf der Website des Sonderforschungsbereichs 1567 »Virtuelle Lebenswelten« vor. Die präsentierten Objekte entstammen der Forschung in den Teilprojekten. Im Zusammenspiel von Text und Animation, desktop- oder smartphonebasierter Augmentierung oder anderer grafischer Aufbereitungen eröffnen wir Einblicke in die verschiedenen Forschungsthemen und den Arbeitsalltag des SFB. Das VOM macht unsere Wissensproduktion transparent. Zugleich wollen wir hier mit den Möglichkeiten und Grenzen der Wissensvermittlung in und durch Virtualität und Visualität experimentieren.

Das »Virtuelle Objektdes Monats« ist mehr als ein populärwissenschaftlicher Text und mehr als ein illustrierendes Bild. Die Autor*innen des jeweiligen VOM präsentieren kurz einen Gegenstand ihrer Forschung um daran ein Argument scharfzustellen. Dabei werden die Objekte auf ihren Mehrwert hin befragt, den sie in dem jeweiligen Forschungssetting preisgeben. Mit dem Text skizzieren unsere Wissenschaftler*innen das Bemerkenswerte, das Eigentümliche oder auch das Einzigartige, welches das jeweilige Objekt zeigt. Sie machen so die Forschung des SFB in einem kurzweiligen Schlaglicht sichtbar. Die zum VOM gehörende Visualisierung ist eine weitere Transformation des Forschungsgegenstands, die das Argument noch einmal auf eine andere Art und Weise zugänglich macht.