DiVe – Didaktik und Virtualität erfahren | 12/2025
Raphaela Gilles
Normalerweise verspüre ich selten Muffensausen vor Vorträgen. Für Personen, die nun erschrocken vor dem Bildschirm sitzen und den Kopf schütteln, gibt es den VR Speech Trainer. Die im Januar 2022 erschienene Software ermöglicht das Einüben von Vorträgen in einer virtuellen Umgebung. Durch das Sprechen vor einem virtuellen Publikum sollen Präsentations- sowie Kommunikationskompetenzen erworben werden – und im besten Falle trägt das Erlebnis zu einer Verringerung des Lampenfiebers bei. Die folgenden Ausführungen geben Einblicke in Hintergründe und Features der App. Getestet habe ich sie trotz Motion-Sickness natürlich auch, komme aber zu einem etwas anderen Ergebnis.
Der VR Speech Trainer stellt eine virtuelle Umgebung bereit, in der Personen Vorträge unter Einbezug eines unmittelbaren und personalisierten Feedbacks üben können. Die Anwendung unterstützt Nutzer*innen mit folgenden Features (Niermann Holding GmbH 2025a):
· Timing: Hier erhalten Nutzer*innen Rückmeldung zu ihrem Sprechtempo.
· Stimme: Zusätzlich zum Sprechtempo wird auch die Lautstärke der Stimme erfasst.
· Füllwörter: Um eine reibungslose Präsentation zu gewährleisten, weist der VR Speech Trainer auch auf Füllwörter hin, sodass diese vermieden werden können.
· Augenkontakt& Blickrichtung: Um das Publikum optimal anzusprechen, wird der Augenkontakt sowie die Blickrichtung der Nutzer*innen erfasst.
· Position: Der VR Speech Trainer unterstützt Nutzer*innen bei der Positionierung im Raum.
· Körpersprache: Neben Augenkontakt und Positionierung wird auch eine angemessene und zugewandte Körpersprache getrackt.
· Transkript: Die App kann bei Bedarf ein Transkript der Präsentation anfertigen.
Gesprochen wird zu einem virtuellen Publikum, das aus Avataren besteht. Dadurch soll eine »realitätsnahe Stimmung« (Niermann Holding GmbH 2025a) hergestellt werden. Die Entwickler legen dabei ein Augenmerk auf die Mimik und Gestik der Avatare sowie auf die Umgebung. Ziel ist, ein Immersionserleben herzustellen, das der Lernbereitschaft dient. Um den Bezug zur eigenen Arbeit zu gewährleisten, ist es zudem möglich, eigene Präsentationen hochzuladen.
Ich habe mich im Xtended Room (XR) des Sonderforschungsbereichs unter professioneller Anleitung mit der App vertrautmachen dürfen. Aufgrund meiner Erfahrungen mit Motion Sickness wurde ich erst über die grundlegende Steuerung informiert und durfte mich für die konkrete Anwendung hinsetzen. Nach dem Aufsetzen des Head Mounted Displays fand ich mich in einem hellen Eingangsbereich wieder. Ich habe mich umgeschaut, die Umgebung sowie meine Hände wahrgenommen und anschließend einen Raum angewählt, der sich auf der rechten Seite befand. Dort saßen drei Personen, über denen – analog zu den Sims – ein grünes Symbol schwebte. Für den Vortrag wurden zwei Minuten angesetzt, in denen ich frei sprechen konnte. Trotz der virtuellen Personen fühlte ich mich unter Druck gesetzt, unvorbereitet vortragen zu müssen. Sicherlich war dies auch der Tatsache geschuldet, dass eine weitere Person physisch im XR anwesend war, die ich hören, jedoch nicht sehen konnte. Es fehlte mir die Möglichkeit, die Reaktion dieser Person wahrzunehmen und entsprechend einzuordnen. Der Vortrag lief dementsprechend holprig, ich sah mich mit Nervosität und Unbehagen konfrontiert, während die Symbole über den Avataren zunehmend rot wurden. Inhaltlich habe ich die Situation in der VR reflektiert und versucht, eher mit der anleitenden Person zu sprechen. Mit Blick auf die körperliche Verfassung nach dem Vortrag nahm ich das HMD recht schnell ab. Nach der VR-Erfahrung stellte sich weniger die erwartete Erleichterung darüber ein, einen Vortrag hinter mich gebracht und eine forschungsrelevante VR getestet zu haben. Vielmehr blieb – neben dem Schwindel – die Erkenntnis, dass ohne Vorbereitung, klare Ziele und sichtbares Feedback die Simulation für mich eher Prüfungsdruck als Übung erzeugte, dass die akustische Präsenz einer unsichtbaren Person und fehlende (non)verbale Rückmeldungen meine Einordnung wesentlich erschwerten und dass das Setting in dieser Konfiguration überforderte.
Die Entwickler (2025b) beschreibenden VR Speech Trainer als den »perfekte[n] Weg, um in einer sicheren, stressfreien Umgebung zu üben« (o.J.). Persönlich habe ich die Umgebung als wenig stressfrei wahrgenommen. Es kostet Überwindung, mit einem HMD zu virtuellen Menschen zu sprechen. Das virtuelle Publikum macht über deutliche Signale auf sich aufmerksam: Einmal die visuelle Botschaft »langweilig« gesehen, schon verlässt einen die Motivation. Durchaus interessant ist jedoch, welch großen Wert ich der Einschätzung des Publikums beimesse, sind es doch bloß auf bestimmte Reize programmierte Entitäten.
Der VR Speech Trainer kann im Xtended Room des SFB 1567 getestet werden.
Literatur
Meta(2025): »VR Speech Trainer«, in: meta.com (2025). Online unter: https://www.meta.com/de-de/experiences/vr-speech-trainer/4620877591270464/?srsltid=AfmBOopzvrJ7N8NF2rUl6o1zSQqxlDWPXpVRiX-NVhDZRi-JwZ2Co1Xu(letzter Zugriff: 10.12.2025).
NiermannHolding GmbH (2025a): VR speech Trainer. FEATURES & BENEFITS, in:vr-speech.com (2025). Online unter: https://vr-speech.com/features (letzterZugriff: 15.12.2025).
NiermannHolding GmbH (2025b): VR speech Trainer. HOME, in: vr-speech.com (2025). Onlineunter: https://vr-speech.com (letzter Zugriff: 10.12.2025).
Zu DiVe
DiVe ist der Blog des Didaktikstudios. Wir berichten über Lehrerfahrungen des SFB mit Blick auf die Nutzung von Virtualität. Der Blog erscheint alle zwei Monate und widmet sich sowohl innovativen Lehr- und Lernmethoden als auch konkreten Praktiken im Kontext virtueller Hochschuldidaktik. Es werden didaktische Vorgehensweisen mit virtuellen Tools vorgestellt und Veranstaltungsberichte veröffentlicht. Hauptautorin ist Raphaela Gilles, je nach thematischem Fokus wechselt die Autor*innenschaft hin zu Mitgliedern des SFB sowie externen Beitragenden. Bei Fragen und Ideen schicken Sie gern eine Mal an raphaela.gilles[at]rub.de.